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Onkel Ben -
Und doch, unter Tausenden hätte ich ihn wohl auserwählt. Er imponierte mir. Er hatte das Gemüt eines alten Kleppers. Seine Gutmütigkeit kannte keine Grenzen und auch die rauhe Schale seines Äußeren konnte nicht darüber hinwegtäuschen,daß er sein Herz am rechten Fleck hatte.
Seine Hände hingegen waren kräftig wie Bärenpranken. Es war gefährlich, mit ihnen in Berührung zu kommen. Selbst wenn er mich nur streicheln wollte, zuckte ich jedes mal ängstlich und misstrauisch mit meinem Kopf zurück.
Onkel Ben liebte das. Er sagte, Kinder müssten Respekt haben. Daran würde die heutige Gesellschaft Kranken. Die kleinen Bengels würden einem sehr schnell auf dem Kopf herumtanzen.
Ich konnte mir das ganz gut vorstellen. Auf Onkels Kopf war sehr viel Platz zum tanzen. Was diese rundliche Kugel Onkel Bens anbelangt, die man üblicherweise Kopf nennt, glaube ich, hatte er einen Geburtsfehler. Hier war er nicht normal. Das hatte mein Vater auch oft zu meiner Mutter gesagt, wenn sie über ihn sprachen. Ich glaube, sie meinten damit, daß er nicht wie jeder vernünftige Mensch aussah. Dort, wo bei anderen mehr oder weniger lange Haare den Kopf verschönten oder verunzierten, war bei ihm nichts. Kein Fläumchen. Keine Strähne. Die kahle Leere einer verblassten Tomate.
Sicher das hatte den Vorteil, daß er sich nie zu kämmen brauchte. Doch ich hätte mich an seiner Stelle geniert. So nackt auf dem Kopf, ganz ohne Haare.
Ich glaube, Onkel genierte sich auch. Er verließ das Haus nie ohne eine Kopfbedeckung. Seine Gehirnschale verbarg er kunstvoll unter Mützen, Hüten und Zylindern,daß keiner je auf die Idee gekommen wäre, daß unter all diesem pompösen Gehabe das reine Nichts verborgen war.
Für uns Kinder war es interessant, einen Mann mit Glatze in der Familie zu haben. Wenn Onkel zu Besuch kam, versammelten wir uns alle voll Erwartung im Flur unseres Hauses. Wir standen wie versteinert um ihn herum und warteten , wie bei der Ent-
Unser Interesse beeindruckte ihn sichtlich.
Wir betrachteten seinen Kopf von jeder Seite. Die kleinste Veränderung daran wäre uns gleich aufgefallen. Manchesmal, wenn Onkel gut gelaunt war, durften wir seinen Kopf auch anfassen. Er nahm dann jeden von uns auf den Arm, drückte uns fest an seine Brust, daß wir meist Bedenken hatten, er würde in dieser Denkmalshaltung erstarren und wir könnten uns nie mehr aus dieser Umklammerung befreien.Trotzdem war es immer eine Gelegenheit , nochmals seinen Kopf zu streicheln und zu prüfen, ob sich nicht doch das kleinste Fläumchen an Haar gebildet hätte. Doch jedesmal ohne Erfolg. Jedesmal keine Veränderung.
Meine angeboren Neugier führte meist zu dem Mißverständnis, daß Onkel Ben glaubte, das wäre der besondere Ausdruck meiner Zuneigung zu ihm. Er liebkoste mich noch einmal um so herzlicher und setzte mich dann mit verklärten Augen wieder am Boden ab.
Ich liebte das nicht besonders. Schließlich war ich ja kein Mädchen. das mit diesen albernen Gefühlen umgehen konnte. Aber wie sollte ich sonst meine Neugier über das Befinden von Onkel Bens Kopf befriedigen.
Wenn es eine andere Möglichkeit gegeben hätte, ich hätte sie genutzt.
Ich habe den Eindruck, Onkel mag keine eigenen Kinder. Deshalb ist er auch nicht verheiratet. Er lebt am Rande der Stadt in einem kleinen Häuzschen zusammen mit Judy. Judy ist eine Bernhardinerhündin, die immer träge in irgend einer Ecke herumlungert und mit halb geschlossenen Augen aufmerksam beobachtet, was gerade um sie herum vorgeht. Sie ist listig und schlau, und ein treuer Spielkamerad deshalb liebten wir sie über alles.
Es dauerte nicht sehr lange, bis wir herausgefunden hatten,daß diese Unschuldslamm, sich schlafend stellend, jeden unerer Schritte mißtrauisch verfolgte und meist dann ins Geschehen eingriff, wenn man es am wenigsten von ihr erwarte.